Komplexität: die zentrale Herausforderung des Arbeitsalltags?

von Christina Ribbrock (Kommentare: 0)

Immer wieder komme ich aktuell mit dem Begriff Komplexität in Berührung. Und das aus ganz unterschiedlichen Situationen. Per Definition meint Komplexität Vielschichtigkeit, also die Vielfalt der Verhaltensmöglichkeiten und Optionen sowie deren Veränderlichkeit. Kurz, wir reden über einen hohen Umfang, der manchmal gar nicht mehr greifbar ist.

Kommt man von der empirischen Seite, dann wird Komplexität im Arbeitskontext schon lange als eine zentrale Herausforderung und in Teilen auch Belastung für Unternehmen gesehen. Aus der Praxiserfahrung kann ich nur bestätigen, wenn auch in Teilen differenziert. Damit auch dieser Beitrag nicht zu komplex wird, greife ich mir eine, für mich, zentrale Alltagssituation heraus – und mal sehen, vielleicht folgen weitere in anderen Beiträgen.

Wie immer nährt sich mit dem 1.4 eines Jahres auch immer Zeitpunkt in der Branche an dem so manche Veränderung in Kraft tritt. Um mein Wissen aufzufrischen, habe ich mir die Themen zusammengestellt, die ich „mal eben“ durchschauen wollte. Angefangen mit den Entscheidungsbaumdiagrammen (EBD). Das Dokument umfasst 290 Seiten. Diese haben das Ziel mehr Transparenz und Eindeutigkeit zwischen den Marktakteuren herbeizuführen, um ein einheitliches Verständnis über Ablehnungsgründe bzw. gescheiterte Marktprozesse sicherzustellen. Für die Prozesse in den unterschiedlichen Ausprägungen gibt es EBDs, welche die Abfolge von Aktivitäten auf eine eingehende Nachricht definiert. Alle Prüfschritte sind in der vorgegebenen Reihenfolge beschrieben und der Empfänger ist verpflichtet, die Nachricht in genau dieser Reihenfolge der Prüfschritte abzuarbeiten. Ich kann für alle Mitarbeiter in den MaKo-Prozessen nur hoffen, dass die IT-Häuser ihre Hausaufgaben gemacht haben und die Funktionalitäten fristgerecht bereithalten. Das ist ein zentraler Aspekt, aber müssen nicht doch auch die Kollegen wissen, was da passiert? Was macht das System? In meinen Augen schon und schon wird das Aufgabenfeld bzw. Arbeitsumfeld komplexer. Auch wird nochmals deutlich: ohne eine gewisse IT-Affinität und notwendiges Verständnis ist das Aufgabengebiet der MaKo nicht mehr beherrschbar. Allein über den Umstand, dass auch ich hier noch von „der MaKo“ spreche ist zum Schmunzeln. Die Prozesse haben sich in den vergangenen Jahren auf fast alle Unternehmensbereiche eines Energieversorgers ausgeweitet und kaum ein Prozess im Kernbereich hat keine Implikationen (vor- oder nachgelagert) auf einen Marktkommunikationsprozess. Der Umstand allein hat eine Komplexität geschaffen, die viele Mitarbeiter nicht ohne Unterstützung bewältigen können. Leider ist das nicht als einzige Implikation von Komplexität aufzuführen. Es geht ja noch weiter.

Da auch wir Berater „up-to-date“ bleiben müssen, habe ich meine gängige Recherche angestoßen und mich bei der BNetzA, beim bdew, etc. eingelesen und mir die aktuellen Beschlussvorlagen und Ankündigungen angeschaut. Wer von Ihnen jetzt dachte, das Thema EBD wird in 2021 die größte Herausforderung, den muss ich leider enttäuschen. Der Gesetzgeber hält neue Netzzugangsregelungen für Elektromobilität, Änderungen am Netznutzungsvertrag/ Lieferantenrahmenvertrag und einen neuen Entwurf des EnWGs bereit, um nur eine Auswahl der Themen zu nennen. Alles wird für das 1. Halbjahr bzw. bis zur parlamentarischen Sommerpause erwartet. Besonders die Änderungen aus dem EnWG möchte ich noch hervorheben, da diese in meinen Augen, die Rolle des Lieferanten im Hause schon beschäftigen werden. Hier sind nicht nur Vertragstexte anzupassen, nein, neue Prozesse sind einzuführen und die IT ist maßgeblich betroffen, um neue Informations- und Hinweispflichten in der Rechnung umzusetzen oder dynamische Tarife anzubieten.

Um mal auf den Punkt zu kommen. Alle aufgeführten Themen betreffen keinen einzelnen Bereich, sie sind sehr vielschichtig – also komplex. Viele Mitarbeiter in unterschiedlichen Teams sind betroffen. Eine Komplexität die kein Einzelner meistern kann! Und wenn ich jetzt von außen auf die Themen schaue, überlege ich, wie gehen Sie vor und vor allem bei wem tauchen die Aufgaben, Veränderungen und Anforderungen auf?

Ich kann mir vorstellen, min. 2/3 von Ihnen wird spontan an die Führungskraft denken! Aber Hand aufs Herz, wirklich? Kann eine Führungskraft in den ganzen Details der einzelnen Prozesse so detailliertes Know-how vorweisen (auf die vielen einzelnen Prozesse gesehen) und ist es vor allem die Aufgabe einer Führungskraft? Gehört es nicht vielmehr mittlerweile zu Aufgabenpaket eines jeden Mitarbeiters? Ich denke schon, und darin liegt aus meiner Perspektive auch die Gefahr der Überforderung und Belastung. Ohne es böse zu meinen, die Veränderung des Arbeitsumfelds und die Annahme (aber auch Vergabe) von neuen Aufgaben und Anforderungen an den einzelnen Mitarbeiter/Arbeitsplatz läuft eher zurückhaltend. Dabei ist es eine Mischung aus Bewahrung und Abwehr. Diese ist – aus der Projekterfahrung – vielfach nicht auf fehlendes Wollen, sondern eher auf fehlendes Können zurückzuführen. Die Komplexität der Aufgaben in sich wächst und ist nur beherrschbar, wenn man sich aktiv damit auseinandersetzt und wenn das Maß an Themen auch entsprechend eingeschränkt ist. Schließlich ist die Zeit sich mit Veränderungen zu befassen neben dem Tagesgeschäft begrenzt und die „Arbeit“ mit nach Hause zu nehmen, gehört nicht zwingend zum Uso in der Branche.

Fakt ist, Sie müssen einen Weg finden, wie Sie Aufgaben und Themen transparent erfassen, Verantwortungen definieren und vor allem auch die Implikationen wie notwendige Gesetzgebungen verorten. Um einen methodischen Ansatz zu nennen: Prozessmanagement. Und hier meine ich nicht, Sie als Versorger sollen sich mit den teils komplizierten Ansätzen auseinandersetzen, so noch mehr Komplexität erzeugen, sondern viel mehr mit notwendigem Augenmaß und Pragmatismus sich den Methoden nähern. Weniger den Prozess an sich, sondern das Organisieren drum herum. So weiß der Mitarbeiter schnell, was gehört zu meinem Aufgabengebiet und womit muss ich mich beschäftigen. Über einen Führungsprozess muss es ins gesamte Team „gekippt“ werden. Ziel sollte sein, die Anforderungen zu zerlegen und anschließend Häppchenweise wieder zusammenzusetzen. So auch keinen mit dem großen Ganzen zu überfordern oder aus dem Entwicklungsprozess auszuschließen.

Getreu dem Motto, was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.

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